Vorwort 2020

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Mit fünfzig brennenden Affen
hießen wir das neue Jahr willkommen
das verzweifelte Schreien der Tiere
liefert den Grundton der Zwanziger Jahre
die Flammen lodern in Krefeld
die Flammen lodern in Australien
die Flammen lodern im Amazonas
die Flammen lodern in Nigeria

(verglichen mit dem was noch kommt
war der COVID-Lockdown nur Übung)

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Unfähig ein flammendes Plädoyer für einen Grünen Sozialismus und ein Global Village zu halten, zu wenig trau ich meinen Mitmenschen zu, zu bösartig ihre psychologischen Schäden, aber auch nicht fähig, das zivilisatorische Projekt, die Werte der Aufklärung aufzugeben, während im Hinterkopf die Gewissheit flackert, dass meine Mitmenschen nicht phantasievoll, nicht entspannt und neugierig und fröhlich genug sind, um eine schöne kommunistische Weltgemeinschaft aufzubauen, und überhaupt nicht willens, dieses deprimierende Schwanken zwischen Revolution und Pessimismus bis ans Ende meiner Tage durchzuhalten, löse ich mich von meinem Wunsch, entweder eine politische Agenda oder misanthropisches Manifest zu schreiben und wende mich nun ganz den Songtexten zu. Niemand liest heute Bücher; Lieder sind alltäglicher als Bücher. Die, auf die es ankommt, lesen keine Bücher oder Blogs. Die auf die es ankommt, kann man am besten mit Musik erreichen. Möglicherweise ist all mein bisher Geschriebens der Steinbruch, aus dem ich meine Liedtexte haue und dann später, manchmal Monate später, in Melodien oder Loops oder Beats flechte / presse. Ich bin immer schon entsetzt gewesen, dass die Jugendkultur meiner Generation so arm ist. Rock-und Popmusik stagniert seit Jahren, der Geist der Jugend ist hungrig und bekommt nur Scheiße vorgesetzt. Ich bin einer von Vielen, für die Musik weder eine Ware ist noch ein Werkzeug, um pure Aufmerksamkeit von allen zu bekommen. Meine Bescheidenheit ist ein warmer Teppich für schlafwandelnde Barfüßler: ich möchte lediglich von bestimmten Menschen gehört und verdaut und kritisiert und ausgeschieden werden. Ich schreibe nicht für Kritiker oder eine anonyme Konsumentenmasse, auch wenn sie gern etwas abhaben können von mir: ich ziele auf die Herzen bestimmter Leute, die einen gewissen Einfluss haben, ich möchte mich in die Tagträume der Söhne und Töchter von Staatsbediensteten schleichen, ich will Journalisten mit bestimmten Gespenstern bekannt machen und Friede zwischen den Hütten schüren und dem Palast Feuer stiften.

Ich habe ein klares Bild von dem Europa, in dem ich leben will. Ich weiß, wer dieses Bild teilt und wer nicht. Meine Propagandatexte sollen wie zärtliche Katzen zwischen den Beinen der Zuhörer schleichen, sie müssen nach bunten Herbstblumen riechen, müssen Melancholie verbreiten und Zweifel nähren. Eine Revolution kommt ohne Dogmen aus, wenn sie ästhetisch genug ist, um in sich selbst das einzige Dogma zu sein. Die Revolution ist Behauptung und Beweis in einem Streich: sie behauptet Kraft, indem sie Kraft beweist: unsere Kraft, unsere Fröhlichkeit, unsere Schmerzen rechtfertigen unsere Sympathie für umstürzlerische Aktivitäten. Wir sind davon überzeugt, dass wir keine Überzeugung brauchen, denn uns treibt die Notwendigkeit der See, die Notwendigkeit des Vulkans, die Notwendigkeit der  Liebe. Nicht unser Wissen, sondern unser Geschmack hat uns letztlich auf den Kommunismus gebracht. Wir finden ihn ästhetisch, es rührt unser christliches Herz, wenn wir an das Paradies auf Erden denken. Jesus will, dass wir uns in internationaler Solidarität vereinen. Das Königreich ist in uns, nicht über den Wolken. Gott ist ein anderes Wort für Liebe. Der Sitz der Seele ist da, wo Innenwelt und Außenwelt aufeinandertreffen, sagt Novalis, wir können uns nicht begreifen, aber wir können mehr als uns begreifen.